IBA-Projekt Homöopathie und Stadtplanung
Ziel der Gesprächswerkstatt war es deshalb, die Annahmen zu bestätigen oder zu verwerfen und zu Verabredungen zu kommen, wie das bisher theoretische Konstrukt „homöopathische Stadtplanung“ in die Praxis übersetzt werden könnte.
Wege
- Es werden Orte in der Stadt ausgewählt, an denen die Methoden der klassischen Stadtplanung nicht greifen
- Es wird eine Anamnese durchgeführt: Wie ist die Situation?
- Es werden Impulse gesucht und über gezielte „Provokationen“ Reaktionen an dem betreffenden Ort getestet.
- Die Wirkung der Impulse wird beobachtet und sorgfältig dokumentiert. Testphasen sollten ausgehalten werden
Orte
Die Stadt schlug zwei Orte als Experimentierfelder vor:
- Ein ehemaliges Wohngebiet der dreißiger Jahre im Südosten der Stadt. Die Siedlung wurde in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgrund des starken Wirtschaftswachstums der Stadt errichtet und gehörte ursprünglich zu den Junkers-Werken. Sie bestand aus 12 Wohnblöcken und war ein beliebtes Wohngebiet. Man kann davon ausgehen, dass viele der Erstbewohner nicht wegzogen und der zunehmende Leerstand in den vergangenen Jahren durch die ansteigende Sterberate der Bewohner verursacht wurde. Es sind kaum junge Leute nachgezogen - auch weil die Wohnungen sehr klein und mittlerweile schlecht ausgestattet sind. Es gibt keinen Sanierungsbedarf, weil es in Köthen an anderer Stelle genügend sanierten Wohnraum gibt. Mittlerweile wurden acht Blöcke abgerissen. Die Fläche wurde bisher nicht neu gestaltet, sondern präsentiert sich als trostlose Brache. Die Bodenfläche wird flankiert u. a. von einem ehemaligen Krankenhaus und Kleingartenflächen. Die Brache ist eine „Wunde“ im kompakten Stadtgefüge, für die es bisher keine heilenden Planungsansätze gibt. Im Moment ist der Bereich zwar noch nicht anstößig, aber es besteht die Gefahr, dass sich der sowieso überalterte Stadtteil insgesamt zurückentwickeln wird, wenn man kein Konzept für die Flächen entwickelt. Eine experimentelle Herangehensweise nach homöopathischen Prinzipien böte die Chance einer behutsamen Entwicklung dieses Bereichs.
- Die Ludwigstraße Die Häuser der Straße stammen überwiegend aus der Gründerzeit und verfügen über große Hinterhofbereiche. Die Fassaden der Häuser sind verputzt und so entsteht ein „plattenhaftes“ Aussehen der Gebäude. Der Leerstand in der Straße ist extrem hoch. Die Atmosphäre der Straße wird als unangenehm empfunden. Eine Sanierung der Häuser lohnt sich wirtschaftlich nicht, weil es keine Nachfrage gibt. Die Wohnungsbaugesellschaft plant aus diesen Gründen, Häuser abzubrechen. Unter homöopathischen Gesichtspunkten könnte für diesen Bereich überlegt werden, ob der Abbruch vielleicht verhindert werden kann oder wie man nach einem Abbruch mit den dadurch entstehenden Freiflächen umgeht?
Vereinbarungen zum weiteren Vorgehen
Arbeitsgruppe 1: „Aktiv liegen lassen“
Ein Workshop wird sich mit der Fläche in der 30er-Jahre-Siedlung unter dem Gesichtspunkt „Aktives Liegenlassen“ beschäftigen und mögliche Impulse beraten, die direkt zur Umsetzung führen. Im IBA-Büro wird ein Vorschlag zur inhaltlichen Gestaltung des Workshops entworfen und mit der Stadt abgestimmt.
Arbeitsgruppe 2: Methoden der Anamnese
Eine Gruppe aus zwei Homöopathen, zwei freien Planern und jeweils einem Vertreter der Stadt Köthen und dem IBA-Büro beraten am Beispiel der Ludwigstraße Anamneseverfahren. Die Rückkopplung wird durch ein Treffen mit dem gesamten Plenum gesichert. Aus der Zusammenfassung resultieren erste Konsequenzen, die als Impulse in der Ludwigstraße eingesetzt werden. Die Gruppe verabredete am Ende der Gesprächswerkstatt einen Termin für die erste Arbeitsgruppensitzung. Herr Steuernagel regte ein Treffen des gesamten Plenums („Reflexionsgruppe“) noch vor der Sommerpause an.
IBA-Projekt „Homöopathie und Stadtplanung“: Krankenhaus Süd
Auf dem Gelände zwischen Robert-Koch-Straße, Dr. Wilhelm-Külz-Straße, Philipp-Semmelweis-Straße und Clara-Zetkin-Straße war zum Zeitpunkt der Maßnahme bereits ein Teilabriss erfolgt. Vier Blöcke des Gebietes aus den 30er Jahren standen noch. Im Abrissgebiet und in der Umgebung wurden Plakate aufgehängt, um die Leute zu mobilisieren, sich Gedanken zu machen über die Zukunft dieses Gebietes. Angesprochen waren vor allem die jungen Leute in diesem Gebiet, die das Abrissgebiet zum „streunen“ und „rumhängen“ nutzten. Gekommen sind zum Planungspicknick am 26.08.2006 ca. 20 Personen, die aus der umgebenden Wohnbebauung kamen und alle über 55 Jahre alt waren.
Planungspicknick
Bei Kuchen und heißem Kaffee, entwickelten sich die Gespräche rund um den Tisch. Die Einschätzungen der Teilnehmer am Planungspicknick drehten sich fast ausschließlich um die Probleme Verwahrlosung, (Un)Sicherheit, Jugendliche auf der Brache. Letztere galten als unerwünscht. Fast einhellig wurde die Auffassung vertreten, die Fläche wieder zu bebauen, z. B. mit Einfamilienhäusern. Der Hinweis der anwesenden Planer, dass die umgebenden Einfamilienhaussiedlungsgebiete bereits jetzt schon einen sehr hohen Altersdurchschnitt aufweisen und diese Gebiete die nächsten Problemgebiete sein könnten, wurde von den anwesenden Bewohnern vehement bestritten; das Problem wurde ignoriert.
Ausblick
Im Anschluss diskutierten die Mitglieder der Projektgruppe die Ergebnisse des Planungspicknicks. Tenor: „die Leute haben keine Zeit“, alles muss sofort und gleich sein und sie haben kein ausgeprägtes Gefühl für Prozesse der Entwicklung und Veränderung; das Liegenlassen von Flächen und eine mögliche Bauerwartungshaltung stehen sich konträr gegenüber. Die Brache wurde „als Wunde der Stadt“ am empfindlichen Punkt ihrer derzeitigen Wachstumsgrenze erkannt. Homöopathen und Planer waren sich abschließend nicht einig darüber, wie die formulierte „Haltung“ zur Brachfläche aussehen soll.
Die Forderung des Grundstückseigentümers, die Dr.-Wilhelm-Külz-Straße straßenbegleitend beidseitig zu bebauen und die Robert-Koch-Straße einseitig straßenbegleitend zu bebauen, führt dazu, dass der Grundstücksteil, welcher künftig für eine „Wildnis“ zur Verfügung steht, sehr klein ist, so dass die Sinnhaftigkeit des Projektes insgesamt in Frage gestellt wird.
Es wurde festgestellt, dass durch die neuerliche Wiederinbesitznahme des Grundstückes durch den Eigentümer zum Zweck der Bebauung die städtebauliche Problematik von diesem Arial genommen wird. Es ist davon auszugehen, dass mittelfristig eine Heilung dieses städtebaulichen Missstandes durch eine Wiederbebauung erfolgt. Derzeitig wird das Projekt ruhen gelassen. Der Werdegang bis zu der Entscheidung Bebauung wird dokumentiert; die Dokumentation wird bis 2010 aus der Rolle des Beobachters weiter geführt.
Aktualisierung 2017
Mittlerweile ist das Gebiet wie beschrieben mit Einfamilienhäusern bebaut, wobei die Robert-Koch-Straße beidseitig bebaut wurde. Eine Heilung scheint damit eingetreten zu sein.
IBA-Projekt „Homöopathie und Stadtplanung“: Ludwigstraße
Die Ludwigstraße ist von den Folgen des Wohnungsleerstands in besonderem Maße betroffen. Die Wohnungsgesellschaft Köthen beabsichtigt, in dieser Straße aus wirtschaftlichen Gründen 15 Gebäude aus dem Bestand abzureißen. Dies hat erhebliche Folgen für die städtebauliche Wahrnehmung dieser Straße und beeinflusst auch die Vermietbarkeit und den Wohnwert der verbleibenden Wohnhäuser in dieser Straße. Eine Befragung der Anwohner ergab, dass der Straßenverkehr, fehlendes Grün, aber auch die Tristesse der äußeren Erscheinung der Wohngebäude die Wohnzufriedenheit der Bürger erheblich senken.
Die ersten Aktionen am 26. und 27.08.2006 wurden bewusst nicht in der Presse angekündigt. Auch wurden die Bewohner der Ludwigstraße bewusst nicht informiert. Die Impulssetzung erfolgte provokativ – die Reaktionen waren gewollt.
- Aktion „Der Abriss wird angekündigt“
- Aktion „Kaffee - Trinken“
- Aktion „Straßensperrung - Tischtennis spielen“
Aktion „Der Abriss wird angekündigt“
Bei dieser Aktion wurden an den Häusern Ludwigstraße 4-6 ein Plakat aufgehängt mit der Aufschrift „Dieses Haus wird abgerissen“ und einer Telefonnummer.
Es gab lediglich zwei Reaktionen mit Kaufangeboten über 1€, was für die Wohnungsgesellschaft Köthen nicht akzeptabel war.
Aktion „Kaffee-Trinken“
Um mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen, wurde eine Kaffeetafel aufgebaut und vorbeikommende Passanten angesprochen, sich zu setzen.
Auch aufgrund von Regenschauern war die Aktion schlecht besucht. Vorbeikommende Passanten, die eingeladen wurden, hatten einen Termin oder waren zur Teilnahme nicht bereit. Die gastgebende Familie war offen für das Thema, die anderen interessierte es scheinbar nicht.
Aktion „Straßensperrung – Tischtennis spielen“
Auch als Impulsgeber gedacht waren die Sperrung der Straße und das Aufbauen von Tischtennisplatten auf der Ludwigstraße. Dies sollte die Jugendlichen animieren, mit den Stadtplanern ins Gespräch zu kommen.
Die Aktion wurde an zwei Tagen durchgeführt. Am 26.08.2006 wurde es wegen Regens abgebrochen. Am 27.08.2006 wurde tatsächlich gespielt. Die Jugendlichen äußerten hierbei, dass sie froh seien, mal gehört zu werden.
Autofahrer hingegen störten sich an der Absperrung, umfuhren sie sogar regelwidrig.
Bei einer Projektgruppensitzung am 8. November 2006 wurde dann überlegt, ob noch mehr Impulse zu setzen seien. Es wurde eine Verdunkelung der Ludwigstraße und Anstrahlung der Abrisshäuser mit gleichzeitiger Eigentümerversammlung am 12. Dezember 2006 beschlossen.
Erste Reaktionen kamen bereits zur Anstrahlprobe am 05.12. Für die Aktion am 12.12. wurden Flyer verteilt und Plakate an den Abrisshäusern angebracht.
Zur Anstrahlung selber gingen die zur Versammlung geladenen Eigentümer, aber auch Anwohner, durch die Straße um die Aktion zu betrachten. In der anschließenden Versammlung mit ca. 50 Personen waren die Reaktionen heftig und die Diskussion teilweise unsachlich wurde. Die (homöopathische) Provokation war gelungen. Letzten Endes kamen aber auch konstruktive Vorschläge bei der Diskussion heraus. Auch die Medien berichteten.
Als im April 2007 die Häuser 4-6 der Ludwigstraße tatsächlich abgerissen wurden, erfolgte keine Reaktion – bzw. lediglich eine Beschwerde über den Staub seitens der Anwohner.
Vom 20. April bis 05. Mai 2007 wurden Vorschläge der Projektmitglieder für die Gebäude, zeichnerisch umgesetzt von Architekten, an den Gebäuden im Format A2 oder A1 als „Ausstellung“ aufgehängt. Die vielfältigen Ideen, darunter etwa eine Gemeinschafts-Solaranlage, wurden noch mal kleiner im Wasserturm aufgehängt, wo am 05.05.2007 eine weitere Eigentümerversammlung stattfand. Sie war schlechter besucht, teilweise immer noch unsachlich, aber überwiegend konstruktiv.
Aktualisierung 2017
Seit dem Projektjahr wurden die meisten der 15 Gebäude abgerissen. Eine Neugestaltung erfolgte entweder als Parkplatz oder als Grünfläche. Die Grünflächen wurden mit Sitzmöglichkeiten versehen.